Ingenieur Automatisierungstechnik – Warum dieser Beruf zur Mangelware wird, während Maschinen alles steuern

Eine Produktionshalle im bayerischen Raum, 6:47 Uhr. Die Maschinen laufen bereits, sortieren, greifen, verpacken. Ein Roboterarm setzt präzise Bauteile zusammen, ein fahrerloses Transportsystem navigiert durch die Gänge. Sensoren melden kontinuierlich Status, Temperatur, Durchsatz. Alles orchestriert von Steuerungssystemen, die autonom Entscheidungen treffen. Doch wer hat diese Systeme programmiert? Wer konfiguriert die Schnittstellen? Wer greift ein, wenn der Prozess aus dem Takt gerät? Die Antwort ist einfach: niemand – zumindest nicht mehr genug.

Das Paradox der autonomen Fabrik

Die deutsche Industrie automatisiert in einem Tempo, das den Bedarf an Ingenieuren für Automatisierungstechnik nicht senkt, sondern dramatisch erhöht. Während Unternehmen auf vernetzte Fabriken und intelligente Produktionssysteme setzen, fehlen genau jene Fachkräfte, die diese Komplexität beherrschen. Im zweiten Quartal 2025 blieben über 106.000 Stellen in Ingenieur- und Informatikberufen unbesetzt, während gleichzeitig die Arbeitslosigkeit in diesem Segment auf den höchsten Stand seit 2011 stieg.

Das klingt widersprüchlich, ist aber Ausdruck einer tiefen Diskrepanz: Spezialisierte Automatisierungsingenieure mit fundiertem Wissen in Steuerungstechnik, Sensorik und Industrial IT sind rar. Wer heute in diesem Bereich arbeitet, bewegt sich zwischen SPS-Programmierung, Netzwerktopologien und Machine-Learning-Algorithmen. Diese Hybridkompetenz entsteht nicht über Nacht – und wird am Arbeitsmarkt entsprechend nachgefragt. Besonders in Energie- und Elektrotechnik sowie im Maschinen- und Fahrzeugbau fehlen qualifizierte Köpfe.

Technologische Komplexität trifft Fachkräftelücke

Automatisierungstechnik war lange Zeit vor allem hardwarenah: Sensoren verkabeln, Relais setzen, Anlagen in Betrieb nehmen. Heute dominieren softwaregestützte Systeme, cloudbasierte Plattformen und KI-gestützte Steuerungslogiken. Ein Ingenieur muss nicht nur verstehen, wie ein pneumatischer Antrieb funktioniert, sondern auch, wie Predictive-Maintenance-Algorithmen Ausfälle vorhersagen oder wie OPC-UA-Protokolle Maschinenparks vernetzen. Die Anforderungen wachsen schneller, als Hochschulen Absolventen hervorbringen können.

Gleichzeitig altert die Belegschaft. Erfahrene Automatisierungstechniker, die noch mit elektromechanischen Steuerungen groß geworden sind, gehen in den Ruhestand. Der Fachkräftemangel wird durch Digitalisierung nicht gelöst, sondern verschärft, weil der Nachwuchs nicht im notwendigen Tempo nachkommt. Jährlich schließen nur 90.000 bis 100.000 junge Ingenieure ihr Studium in Deutschland ab – viel zu wenig für die zunehmend komplexe Industrielandschaft.

Wenn Cobots Fachkräfte brauchen, nicht ersetzen

Kollaborative Roboter sind längst keine Zukunftsvision mehr. Sie arbeiten Seite an Seite mit Menschen, nehmen repetitive Aufgaben ab und erhöhen die Flexibilität in der Fertigung. Doch die Einführung von Cobots erfordert Ingenieure, die nicht nur die Robotik selbst verstehen, sondern auch Arbeitsschutz, Prozessintegration und Mensch-Maschine-Schnittstellen beherrschen.

Jede neue Automatisierungsstufe generiert neue Anforderungen: Safety-Konzepte für kollaborative Anwendungen, Schnittstellen zu ERP-SystemenEchtzeit-Datenanalyse für Zustandsüberwachung. Die Maschinen steuern zwar immer mehr selbst – aber die Konfiguration, Wartung und Weiterentwicklung dieser Systeme bleibt in menschlicher Verantwortung. Und genau hier entsteht das Problem: Während Unternehmen Automatisierung vorantreiben, fehlt ihnen das Personal, das diese Systeme realisiert und betreibt.

Internationale Fachkräfte als Brücke, nicht Lösung

Ein Viertel des Beschäftigungszuwachses in Ingenieurberufen seit 2012 stammt von internationalen Fachkräften. Besonders aus Indien, der Türkei und China kommen qualifizierte Automatisierungstechniker, die deutsche Unternehmen dringend benötigen. Der Anteil internationaler Studierender in ingenieurwissenschaftlichen Studiengängen kletterte von 15 Prozent im Jahr 2010 auf 33 Prozent im Jahr 2023. Diese Entwicklung zeigt, wie abhängig Deutschland von ausländischen Talenten geworden ist.

Doch die Zuwanderung allein deckt den Bedarf nicht. Sprache, Anerkennungsverfahren und kulturelle Integration bleiben Hürden. Zudem konkurriert Deutschland mit anderen Industrienationen um dieselben Talente. Die langfristige Lösung liegt nicht nur in der Rekrutierung internationaler Fachkräfte, sondern in der systematischen Nachwuchsförderung und der kontinuierlichen Weiterbildung bestehender Belegschaften.

Neue Rollen, alte Lücken

Die Industrie 4.0 schafft Berufsbilder, die es vor zehn Jahren nicht gab: Automation Manager, die Prozesse orchestrieren, Digital Twin Engineers, die virtuelle Abbilder von Produktionsanlagen erstellen, oder Industrial Data Scientists, die Maschinendaten in Optimierungspotenziale übersetzen. Diese Rollen erfordern interdisziplinäres Denken – eine Mischung aus klassischer Automatisierungstechnik, IT-Architektur und Datenanalyse.

Doch während neue Berufsfelder entstehen, verschwindet die Basis nicht. Jemand muss weiterhin Schaltschränke verdrahten, Frequenzumrichter parametrieren, Antriebstechnik dimensionieren. Die Verbindung von Handwerk und Hightech macht den Beruf anspruchsvoll – und rar. Die Anforderungsprofile werden breiter, während die Zahl derer schrumpft, die sie erfüllen können. Unternehmen suchen nicht mehr nur Automatisierungstechniker, sondern Systemintegratoren mit umfassender Technologiekenntnis.

Wirtschaftslage verschärft strukturelles Problem

Zwar reduzierte sich die Zahl offener Stellen im Vergleich zum Vorjahr um 22 Prozent, doch die Engpasskennzahl bleibt hoch. Im Schnitt kommen auf 100 arbeitslose Ingenieure 194 unbesetzten Positionen. In Bau- und Gebäudetechnik sogar 314, in Energie- und Elektrotechnik 284. Das zeigt: Die Konjunkturflaute mindert die Nachfrage, löst aber nicht das strukturelle Problem fehlender Spezialisierung.

Unternehmen reagieren unterschiedlich. Manche setzen auf interne Qualifizierung, andere versuchen, Prozesse weiter zu standardisieren, um den Bedarf an Fachkräften zu senken. Doch selbst bei höherem Automatisierungsgrad bleibt der Bedarf an Ingenieuren bestehen, die Systemarchitekturen entwerfen, Schnittstellen definieren und Fehler diagnostizieren. Die Vorstellung, dass Automatisierung den Fachkräftemangel selbst löst, erweist sich als Trugschluss.

Zwischen Engpass und Chance

Der Beruf des Ingenieurs für Automatisierungstechnik wird nicht verschwinden – im Gegenteil. Er entwickelt sich weiter, wird anspruchsvoller und vielseitiger. Wer heute in diesem Feld arbeitet oder einsteigen will, findet exzellente Perspektiven: überdurchschnittliche Gehälter, hohe Jobsicherheit und die Möglichkeit, an der Schnittstelle zwischen Produktion und Digitalisierung zu gestalten. Die Maschinen steuern vielleicht immer mehr selbst – doch sie brauchen Menschen, die ihnen zeigen, wie.